Die Wirtschaftspolitischen Aufgaben der nächsten Bundesregierung

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Blick auf die Finanzmärkte 18.11.2024

Die Wirtschaftspolitischen Aufgaben der nächsten Bundesregierung

ODDO BHF3 Minuten

Prof. Dr. Jan Viebig Global Co-CIO ODDO BHF

 

Permanente Meinungsunterschiede vor allem in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik hatten die Ampel-Koalition – benannt nach den Farben der beteiligten Parteien - in Berlin seit langem zermürbt. Ausgelöst wurde der Bruch der Koalition dann durch ein Wirtschaftspapier von FDP-Finanzminister Lindner, das SPD und Grüne als Kampfansage auffassen mussten - und vermutlich auch als solche gedacht war: Verschieben der Klimaziele, Einschränkungen bei Sozialausgaben, Senkung der Körperschaftsteuer, Abschaffung des Solidaritätszuschlags, Einhaltung der Schuldenbremse, Eindämmung der Bürokratiekosten waren die „Kröten“, die der Bundeskanzler nicht mehr zu schlucken bereit war. Die Entlassung von Christian Lindner als Finanzminister beendete die ungeliebte Ampel-Koalition. Bundeskanzler Olaf Scholz wird voraussichtlich am 16. Dezember die Vertrauensfrage stellen und damit den Weg für eine Auflösung des Bundestags freimachen. Nach aktueller Planung sollen am 23. Februar 2025 Neuwahlen durchgeführt werden.

 

Den letzten Umfragen zufolge würden die CDU/CSU auf rund 33 Prozent der Stimmen kommen und damit die mit Abstand stärkste Fraktion im neuen Bundestag stellen. Die AfD würde etwa 18 Prozent erreichen, die SPD 16 Prozent. Die Grünen kämen auf 12 Prozent, das linkspopulistische Bündnis Sahra Wagenknecht käme auf 8 Prozent. Mit jeweils 4 Prozent würden FDP und Die Linke den Einzug in den Bundestag knapp verpassen (siehe Abbildung 1).

Abb1: WAS WÄRE, WENN AM NÄCHSTEN SONNTAG BUNDESTAGSWAHL WÄRE? - AKTUELLE UMFRAGEERGEBNISSE

 

Quelle: Wahlrecht.de, Sonntagsfrage; ungewichtetes Mittel der Umfragen von FORSA, Forschungsgruppe Wahlen, Infratest dimap, INSA, Veröffentlichung nach dem 6. November 2024

 

Sollte diese Stimmenverteilung dem Wahlergebnis zumindest grob entsprechen, dürfte es im nächsten Jahr vermutlich eine Bundesregierung unter Führung der CDU mit einem Bundeskanzler Friedrich Merz geben. Die CDU wird jedoch mindestens einen Koalitionspartner benötigen, um eine „Kanzlermehrheit“ zu bekommen. Christian Lindners Liberale (FDP) haben inhaltlich sicherlich die größte Nähe zur CDU, dürften aber, selbst wenn sie die Fünf-Prozent-Hürde nehmen, als alleiniger Partner nicht genug Gewicht auf die Waage bringen. Statt Liebesheirat also Zweckehe. Einige Kernelemente der grünen Klimapolitik erscheinen Teilen der Union derzeit nicht konsensfähig, so dass die Grünen vermutlich gemieden würden, und die AfD gilt als tabu. Entsprechend dürfte sich die CDU vermutlich die SPD als Juniorpartner ins Boot holen. Dies ist im Moment unser Basisszenario.

 

Die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der CDU zielen vor allem darauf ab, die Investitionstätigkeit zu beleben und die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu verbessern. Zu den Kernelementen zählen (1) Steuerentlastungen für Unternehmen und private Haushalte, der (2) Abbau von Bürokratiekosten und Deregulierung sowie eine (3) pragmatische Energiepolitik und Entlastungen bei den Energiekosten. Die (4) Umsetzung von Infrastrukturprojekten soll durch flexiblere Finanzierungsmodelle erleichtert werden, die (5) Schuldenbremse soll erhalten bleiben. Das (6) Bürgergeld soll durch eine wesentlich restriktivere Grundsicherung ersetzt werden. 

 

Der Standort Deutschland hat im Verlauf der letzten zehn Jahre deutlich an Wettbewerbsfähigkeit und Wachstumsdynamik verloren. Dabei spielt der Anstieg der Energiekosten eine Rolle, aber auch - nach unserer Meinung - eine Reihe wachstumsschädlicher Maßnahmen der „Ampelregierung“. Die Investitionstätigkeit siecht dahin, die Produktivität stagniert. Der traditionelle Konjunkturzusammenhang zwischen den USA und Deutschland scheint sich aufgelöst zu haben (siehe Abb. 2). 

 

Abb 2: ENTWICKLUNG DES REALEN BRUTTOINLANDSPRODUKTS SEIT ANFANG 2000

Quelle: LSEG Datastream; Zeitraum: 01.01.2000-30.09.2024; die sog. Ampel-Regierung von SPD, FDP und Grünen bestand seit dem 7. Dezember 2021

 

Durch die Wahl Donald Trumps könnten sich die Probleme für Deutschland und Europa nochmals verschärfen. Steuererleichterungen für US-Unternehmen, umfangreiche Deregulierungen, niedrige Energiekosten und die umfassende Einführung von Importzöllen drohen das Gefälle zwischen den USA auf der einen und Deutschland und den Europäern auf der anderen Seite weiter zu vergrößern. Zusätzliche Probleme ergeben sich, wenn man China mit ins Bild nimmt. Mit hohen Einfuhrzöllen in den USA konfrontiert, dürften die chinesischen Exporteure noch stärker in den europäischen Markt drängen. Vor diesem Hintergrund sehen wir generell für das verarbeitende Gewerbe, vor allem im Bereich der Automobilindustrie, wachsende Herausforderungen. 

 

Die Neuwahlen in Deutschland und eine mögliche politische Umorientierung dürften die schwierige Situation der deutschen Wirtschaft nicht von heute auf morgen grundlegend verändern. Strukturelle Veränderungen brauchen Zeit. Deshalb bleiben wir im Hinblick auf die europäischen Aktienmärkte zurückhaltend. Zwar finden sich auch an den europäischen Aktienmärkten viele Qualitätsunternehmen mit starken Marktpositionen und attraktiven Ertragschancen. Regional gesehen bevorzugen wir derzeit aber den US-Markt. Dort sind wir deutlich übergewichtet. Der Grund sind aber weniger die politischen Pläne der kommenden Trump-Administration. Denn den unmittelbaren Vorteilen für die US-Unternehmen durch Steuersenkungen, Deregulierungsmaßnahmen und Importzöllen stehen beträchtliche gesamtwirtschaftlichen Risiken gegenüber. Vielmehr überzeugt uns der US-Markt durch seine deutlich höhere Kapitalrentabilität, seine Innovationsstärke und sein größeres Wachstumspotenzial. 

 


 

 

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