Bruno Cavalier – Chefökonom ODDO BHF
WESENTLICHE PUNKTE:
Die Wiedereröffnung der Weltwirtschaft nach den Lockdowns von 2020 führte zu einem Inflationsschub, auf den nahezu alle Zentralbanken reagierten, indem sie ihre Zinssätze anhoben. Einige Schwellenländer – insbesondere in Lateinamerika und Osteuropa – reagierten bereits 2021, während die USA und Westeuropa 2022 folgten. Zwei bemerkenswerte Ausnahmen sind China und Japan. Insgesamt stieg der sogenannte „globale“ Leitzins, berechnet als gewichteter Durchschnitt der einzelnen Länder, im Jahr 2022 um nahezu 250 Basispunkte und 2023 um mehr als 125 Basispunkte (siehe Grafik).
Als sich die inflationären Spannungen schließlich deutlich abschwächten, kehrten fast alle Zentralbanken die Richtung um. Im vergangenen Jahr senkten die Fed und die EZB ihren Leitzins um 100 Basispunkte – weltweit betrug der Durchschnittsrückgang 60 Basispunkte.
Seit einigen Monaten variiert jedoch die Dynamik der Inflation von Region zu Region. Die USA, deren Wirtschaft auf Hochtouren läuft, verzeichnen einen Wiederanstieg der Inflation. China steht am Rande der Deflation. Japan erholt sich nach zwei verlorenen Jahrzehnten. Europa hingegen hat Mühe, einen echten Aufschwung der Inlandsnachfrage in Gang zu bringen, und der Inflationsdruck lässt nach. Im Jahr 2025 werden die geldpolitischen Maßnahmen weniger synchron verlaufen als in den vergangenen Jahren – möglicherweise sogar in entgegengesetzten Richtungen. Dies könnte Auswirkungen auf andere Anlageklassen und Währungen haben. Werfen wir einen Blick auf die wichtigsten Länder.
In den USA hat das vergangene Jahr die Prognosen eines sanften Landings widerlegt. Das reale BIP-Wachstum blieb dank einer starken Haushaltsnachfrage – unterstützt durch einen Anstieg des Nettovermögens um fast 10 % sowie durch solide Beschäftigungszahlen – in der Nähe von 3 %. Die Desinflation ist ins Stocken geraten, und das Erreichen des 2‑%-Ziels ist nicht mehr gesichert. Die Fiskalpolitik ist expansiv. Unter diesen Umständen sieht die Fed keinen Grund, ihre Geldpolitik kurzfristig zu lockern.
Zudem muss die Fed auch die neu gewählte US-Regierung berücksichtigen. Wie vor acht Jahren – diesmal allerdings mit ambitionierteren Zielen – zielt das Programm der Regierung darauf ab, gegen illegale Einwanderung vorzugehen, die Steuern für Haushalte und Unternehmen zu senken (trotz eines bereits sehr hohen Haushaltsdefizits) und Handelsbarrieren zu errichten. In einer Wirtschaft bei Vollbeschäftigung wirken all diese Maßnahmen inflationstreibend. Unklar bleibt jedoch das Ausmaß und die Reihenfolge dieser Initiativen.
Seit Beginn seiner zweiten Amtszeit hat die US-Regierung vermehrt Ankündigungen von Zollanhebungen gemacht. Einige wurden nahezu sofort zurückgenommen (z. B. in Kolumbien) oder aufgeschoben (bei Mexiko und Kanada), sobald die betroffenen Länder versprachen, gegen illegale Einwanderung vorzugehen. Andere Erhöhungen, etwa gegenüber China, bleiben bis heute bestehen. Weitere Erhöhungen zeichnen sich für bestimmte Produkte (wie Stahl und Aluminium) oder Regionen (Europa) ab. Das Ergebnis dieser verwirrenden Kommunikation ist ein Anstieg der Handelsunsicherheit, der in wenigen Wochen nahezu so stark war wie in den zwei Jahren während Trumps erster Amtszeit. Bis für alle Fälle mehr Klarheit herrscht, verharrt die Fed in der Pause – auch wenn nicht im Sinne der US-Regierung ist , der eine sofortige Zinssenkung wünscht.
In der Eurozone sind die konjunkturellen Bedingungen diametral entgegengesetzt zu denen der USA. Das Wirtschaftswachstum ist schwach und liegt unter dem Potenzial. Im Jahr 2024 stützte es sich vor allem auf den Export, doch dieser Motor könnte im Falle eines Handelskonflikts an Fahrt verlieren. Der einzige positive Aspekt ist eine Wiederbelebung der Bankkreditflüsse. Abgesehen davon zeigen die Indikatoren kein grünes Licht. Das Geschäftsklima liegt unter dem Durchschnitt, vor dem Hintergrund politischer Unsicherheiten in Frankreich und Deutschland, und die privaten Haushalte rechnen mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit. In zahlreichen Ländern liegt die Inflation bereits unter dem Zielwert. Auf ihrem aktuellen Niveau wird der Leitzins der EZB von der überwiegenden Mehrheit des EZB-Rats als restriktiv eingeschätzt. Es spricht alles dafür, weiter zu senken und die Geldpolitik stimulierender zu gestalten. Falls dies geschieht, wäre dies ein – seltenes, aber nicht unübliches – Auseinanderdriften zwischen der EZB und der Fed.
Im Vereinigten Königreich wird in letzter Zeit häufig der Begriff „Stagflation“ (Stagnation + Inflation) verwendet, um die wirtschaftlichen Bedingungen zu beschreiben. Das BIP-Wachstum ist seit sechs Monaten nahezu stagniert, während gleichzeitig die Löhne zu steigen beginnen und die Preise im Dienstleistungssektor hartnäckig auf hohem Niveau verharren. Dies stellt typischerweise die schwierigste Situation für eine Zentralbank dar, die zwischen der Notwendigkeit, die Inflation zu bekämpfen, und dem Wunsch, die Wirtschaft zu stützen, hin- und hergerissen ist. Die Bank of England hat wieder zu einer lockereren Geldpolitik gegriffen, wenn auch weniger deutlich als die EZB.
In China wird die Wirtschaft weiterhin von der Bereinigung des Immobiliensektors belastet, die vor einigen Jahren begann. Angesichts der schwachen Konsumnachfrage sind die Einzelhandelspreise nahezu unverändert. Die Erzeugerpreise sinken seit etwa zwei Jahren, was die Rentabilität der Unternehmen beeinträchtigt. Um dieser Situation entgegenzuwirken, haben die Behörden versprochen, zusätzliche Unterstützung zu leisten – insbesondere durch eine Lockerung der Geldpolitik –, doch bislang blieben die Maßnahmen hinter den Worten zurück.
In Japan befindet sich die Wirtschaft nun in einer Phase der Reflation. Die Preise und Löhne steigen kontinuierlich, sodass die Geldpolitik als zu expansiv erscheint. Jahrzehntelang galt der Yen als Paradebeispiel für eine Währung mit günstigen Finanzierungskosten. Dies stellt einen tektonischen Wandel dar, sofern die Zentralbank – wie es den Anschein hat – ihre Leitzinsen weiter anhebt.
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Nachrichten
Die deutsche Wirtschaft geht aus einer geschwächten Position heraus in eine neue Zeit, in der es in der Weltwirtschaft künftig rauer zugehen könnte. Trumps Kurs, die angekündigten Zollerhöhungen entschlossen und weitgehend ohne langwierige Verhandlungen durchzusetzen, birgt die Gefahr eskalierender Handelskonflikte zwischen China, den USA, dem restlichen amerikanischen Kontinent und Europa.
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Ist Deutschland wieder der „kranke Mann Europas“?, sorgte sich im Sommer 2024 der Wirtschaftskolumnist Martin Wolf in einem Beitrag für die Financial Times. Im Wahlkampf vor der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar wird die Frage wieder aktuell. In seinem Wirtschaftsausblick vom Januar 2025 stellt der Internationale Währungsfonds (IWF) einen Rückgang des deutschen Bruttoinlandsprodukts um 0,3 Prozent im Jahr 2023 fest und für 2024 einen weiteren Rückgang um 0,2 Prozent.