Laurent Denize – Global Co-CIO ODDO BHF
Breite Diversifikation gilt zu Recht als Schlüssel für langfristigen Erfolg in der Vermögensverwaltung. Doch im vergangenen Jahr waren diejenigen Anleger am erfolgreichsten, die diesen Rat in den Wind schlugen. Wer auf sieben Mega-Tech-Unternehmen – die so genannten „Glorreichen Sieben“ – setzte, erzielte mehr als das Doppelte der Rendite eines Nasdaq-ETFs. Auch dank dieser Technologieunternehmen sind US-Aktien heute deutlich teurer als Titel aus der von politischer Instabilität und Wachstumsschwäche geprägten Eurozone. Der Wahlsieg Donald Trumps hat den Trend zu US-Aktien in den Portfolios zusätzlich verstärkt. Angesichts der Alternativen scheinen die meisten Anleger zu zögern, das künstliche Paradies des US-Aktienmarktes kurzfristig zu verlassen. Längerfristig jedoch wird angesichts der geopolitischen Risiken und der hohen Konzentration am Aktienmarkt die regionale und sektorale Diversifikation wieder an Bedeutung gewinnen.
Makro-Paradies USA!
Für die Dominanz des US-Aktienmarktes gibt es gute Gründe. Die im Wahlkampf versprochenen Steuersenkungen und Deregulierungen sind zusätzliche Impulse, doch die USA führen ohnehin in Sachen Wachstumsdynamik und Produktivitäts-steigerung. Auch die Prognosen der Analysten und die Stimmungsindikatoren sprechen für anhaltendes Wachstum in den USA, während China aufgrund der Schwäche des Immobilienmarktes und des Binnenkonsums stagniert und die größten Volkswirtschaften der EU mit rückläufigen Wachstumszahlen zu kämpfen haben. Angesichts der hohen politischen Unsicherheit in Frankreich und Deutschland werden auch die zu erwartenden weiteren Zinssenkungen der EZB kaum ein Wirtschaftswunder auslösen. Für die export-abhängigen deutschen Industrieunternehmen bräuchte es dafür eine nachhaltige Erholung in China, die nicht vor Ende des Jahres zu erwarten ist.
Der Disinflationstrend dürfte Risikowerte weltweit weiter stützen. Zwar ist er in den USA, wo die Kerninflation deutlich über der Zielmarke von 2 % liegt, zuletzt ins Stocken geraten. In Europa ist er jedoch nach wie vor intakt. Da die EZB angesichts der schleppenden Konjunktur mehr Spielraum für Zinssenkungen hat, wird die Geldpolitik auf beiden Seiten des Atlantiks weiter auseinanderdriften. Ob die Trump-Administration einen Inflationsschub auslösen wird, bleibt abzuwarten. Nach Berechnungen von Oxford Economics würden höhere Importzölle, insbesondere gegenüber China, das allgemeine Preisniveau in den USA um einen vollen Prozentpunkt erhöhen. Der jüngste starke Anstieg der Renditen langfristiger US-Staatsanleihen könnten die „paradiesischen“ Aussichten für die USA ebenfalls trüben, doch ist dies nicht der Fall, solange die Zinsen für 30-jährige Hypothekenkredite nicht in die Höhe schnellen.
Unserer Analyse zufolge bietet sich Investoren ein uneinheitliches Bild: Das Wachstum verlangsamt sich in verschiedenen Regionen der Welt, doch eine Rezession bleibt aus; die Disinflation hält an; eine lockere Geldpolitik und ein mögliches Konjunktur-programm in China sollten für Impulse sorgen; Donald Trumps unberechenbarer Regierungsstil, die politische Unsicherheit in Deutschland und Frankreich sowie geopolitische Krisen bleiben negative Faktoren.
In US we trust
Für Investoren bedeutet dies, dass die USA nach wie vor mehr Chancen bieten als andere Regionen. Zwar sind die Bewertungen sehr hoch. Diese werden jedoch anders als andernorts immer noch durch hohe Gewinnmargen und Eigenkapital-renditen gestützt, auch wenn diese zuletzt unter Druck geraten sind. Laut FactSet rechnen die Marktteilnehmer 2025 für den S&P 500 mit einem durchschnittlichen Gewinnwachstum von 14,6%, für den Stoxx Europe 600 hingegen nur von 8,2%. Erste Anzeichen deuten darauf hin, dass die extreme Polarisierung am US-Aktienmarkt zumindest allmählich nachlässt. Da sich die Aktien im S&P 500 weniger gleichförmig entwickeln als früher, ergeben sich attraktive Chancen für aktive Anleger, die gezielt auf bestimmte Themen und Einzeltitel setzen. Was könnte die gute Stimmung für US-Aktien trüben? Am ehesten die Ausgaben der Betreiber großer Rechenzentren für KI-fähige Halbleiterchips, die einen Großteil der zusätzlichen Investitionen in diesem Bereich ausmachen. Sollte der Vormarsch von KI ins Stocken geraten, könnten sinkende Investitionen den Aktienmarkt belasten. Dies ist jedoch nicht unser Basisszenario.
Einige Faktoren könnten Europa wieder ins Spiel bringen
Europäische Aktien sind im Vergleich zu ihren US-Pendants stark unterbewertet (und überverkauft). Selbst ohne die Glorreichen Sieben liegt der Abschlag Europas gegenüber den USA mit 30% auf einem Höchststand. Zudem sind die Erwartungen an die EZB-Zinssenkungen noch zu niedrig und bieten Raum für positive Überraschungen. Doch das allein wird nicht ausreichen, um die negative Anlegerstimmung gegenüber dem alten Kontinent umzukehren. Eine Untergewichtung halten wir für übertrieben. Anleger sollten dennoch auf Signale warten, bevor sie ihr Engagement erhöhen. Im Fokus steht neben dem wichtigen Exportmarkt China auch Deutschland, wo Ende Februar Wahlen stattfinden. Im dritten Rezessionsjahr erwartet man von der neuen Regierung konkrete Maßnahmen zur Stützung der schwächelnden Wirtschaft. Schritte zur Senkung der im internationalen Vergleich hohen Unternehmenssteuern und eine Entlastung bei den Energiepreisen könnten deutsche Unternehmen zu Investitionen ermutigen, wovon ganz Europa profitieren würde. Bis dahin sollten Anleger bei der Aktienauswahl europäische Unternehmen bevorzugen, die einen hohen US-Geschäftsanteil haben und nicht von den Zöllen betroffen sind, da sie entweder vor Ort produzieren oder im Dienstleistungssektor tätig sind.
Wo finden sich noch andere Paradiese?
Seit Chat GPT auf den Markt kam, haben viele ein vorzeitiges Ende des KI-Booms prophezeit. Doch wir sind überzeugt: Generative KI ist erst der Anfang. Alle großen Internetkonzerne, von Open AI über Google bis hin zu Apple, arbeiten derzeit an KI-Agenten, die das Web für uns eigenständig durchsuchen. Dies wird grundlegend verändern, wie wir das Internet nutzen und wie sich diese Nutzung zu Geld machen lässt. Erste Agenten sind bereits in Softwarelösungen von Salesforce und Service Now integriert. KI-Agenten werden auch benötigt, um KI-Lösungen für die Robotik oder das autonome Fahren zu entwickeln. Die rasante Entwicklung in diesem Bereich verlangt aktives und vorausschauendes Management, denn nicht alle heutigen High-Flyer werden sich im Wettbewerb durchsetzen.
Der Anteil von Strom am Energieverbrauch wird in den kommenden Jahren massiv ansteigen (u.a. durch Rechenzentren). Die für die Elektrifizierung nötigen Investitionen eröffnen langfristige Gewinnchancen. Gleiches gilt für Investitionen in nachhaltige Energie. Der Großteil der erforderlichen CO2-Einsparungen wird durch Technologie, nicht durch Verhaltensänderungen ermöglicht werden. Die Kosten dieser Technologien werden mit zunehmender Verbreitung sinken. Deshalb gehen wir davon aus, dass der ökologische Wandel trotz des Gegenwinds aus den USA ein Wachstumsthema bleiben wird. Ähnliches gilt für den europäischen Verteidigungssektor. Da die neue US-Regierung Europa voraussichtlich drängen wird, mehr für die eigene Sicherheit zu tun, sehen wir Potenzial für steigende Verteidigungsausgaben in Europa. Das stützt unsere Annahme einer mehrjährigen Ausweitung der europäischen Verteidigungsbudgets und steigender Aktien-bewertungen.
Deutlich unterbewertete Small Caps aus den USA bzw. Mid Caps aus Europa eröffnen ebenfalls interessante Optionen zur Diversifikation am Aktienmarkt. Zyklische Aktien haben zuletzt aufgrund überoptimistischer Konjunkturer-wartungen deutlich zugelegt. Kurzfristig würden wir daher eher auf defensive Wachstumswerte setzen. Die Schwellenländer haben in letzter Zeit enttäuscht, bieten nun aber viel Aufholpotenzial. Wir rechnen damit, dass Chinas Regierung entschlossene Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft ergreift, insbesondere als Antwort auf höhere Zölle, die auch andere asiatische Märkte treffen werden.
In Bezug auf Staatsanleihen ist es aus unserer Sicht nach wie vor sinnvoll, die Duration zu erhöhen, in den USA jedoch nur maßvoll, da die Laufzeitprämie wieder anzieht, was die Renditen steigen lässt.
Im Segment der Unternehmensanleihen halten wir ein Engagement aufgrund des Carry-Potenzials weiterhin für sinnvoll, insbesondere in den attraktiven Kurzläufern.
Aus Diversifizierungssicht halten wir es für verfrüht, auf den Euro setzen. Unser geringes Engagement in Öl behalten wir mit Blick auf das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage ebenfalls bei.
Fazit
Vorerst bleiben die USA ein reales und keineswegs ein künstliches Paradies. Sie sind auf der Aktienseite weiterhin unsere erste Wahl, wenn es darum geht, das Geld wieder arbeiten zu lassen und die fallenden Renditen infolge der jüngsten Zinssenkungen der Zentralbanken (zumindest teilweise) auszugleichen. Allerdings sind sie nicht gerade günstig bewertet, und die große Kluft zwischen vermeintlichen Gewinnern und Verlierern nach der Trump-Wahl erfordert eine differenzierte und umsichtige Aktienselektion. Auch außerhalb der USA haben wir Alternativen auf dem Zettel. Gehört Europa (als Ganzes) auf der Aktienseite dazu? Günstige Bewertungen, die Unterrepräsentation in den Portfolios, ein schwächerer Euro, das Potenzial für Reformen in Deutschland und für Frieden in der Ukraine – all dies könnte die Asymmetrie zugunsten von Europa verbessern. Wir halten es dennoch für verfrüht, sich in größerem Stil neu im alten Paradies zu engagieren.
Wichtige Hinweise
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Nachrichten
Am Montag, 20. Januar 2025, wird in Washington die Amtsübergabe von Joe Biden auf Donald Trump stattfinden. Der neue Präsident tritt sein Amt vor dem Hintergrund steigender Renditen an den Anleihemärkten an.
Ungeachtet der Leitzinssenkungen hat sich an den Anleihemärkten im vergangenen Jahr 2024 der rasche Anstieg der Renditen am langen Ende wie schon in den Jahren 2022 und 2023 fortgesetzt.
Breite Diversifikation gilt zu Recht als Schlüssel für langfristigen Erfolg in der Vermögensverwaltung. Doch im vergangenen Jahr waren diejenigen Anleger am erfolgreichsten, die diesen Rat in den Wind schlugen.