Der Druck auf die Federal Reserve steigt

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Blick auf die Finanzmärkte 10.09.2024

Der Druck auf die Federal Reserve steigt

ODDO BHF4 Minuten

Prof. Dr. Jan Viebig Global Co-CIO ODDO BHF

 

 

Volatile Aktienmärkte, fallende US Treasury Renditen und der US-Dollar auf Talfahrt zeichnen ein Bild der Unruhe an den Kapitalmärkten. Dabei ist insbesondere die US-amerikanische Notenbank Federal Reserve (Fed) unter Beschuss geraten. Denn während die EZB, die SNB und die Bank of England ihre Zinsen im laufenden Jahr bereits senkten, hielt die Federal Reserve ihren Leitzins unter Verweis auf den robusten Arbeitsmarkt und das gute Wirtschaftswachstum auf konstant hohem Niveau von 5,25 – 5,50%. Die kräftige Korrektur der Aktienmärkte von Anfang August 2024 hatte allerdings einen deutlichen Rückgang bei den Renditen und der Leitzinserwartungen ausgelöst. Während aber die Aktienmärkte ihre Verluste von Anfang August weitgehend aufgeholt haben, preisen die Zinsmärkte fast unverändert aggressive Leitzinssenkungen der Fed ein. Bei den drei verbleibenden Sitzungsterminen des Offenmarktausschusses – so sagen beispielsweise die Terminkontrakte auf Federal Funds Rate – sollte der Leitzins demnach um mehr als 100 Basispunkte gesenkt werden.   

 

Doch wie steht es um den US-Arbeitsmarkt?

 

Ein Überhang an offenen Stellen gegenüber Arbeitslosen ist im historischen Vergleich eine Seltenheit, trotzdem wird der langsam abnehmende Überhang mit Sorge verfolgt: Der Zuwachs an Arbeitsplätzen hat sich in diesem Jahr verlangsamt und die Zahl der offenen Stellen ist zurückgegangen. Dabei hat der Unterschied zwischen der Anzahl offenen Stellen und der Zahl der Arbeitslosen mit einem Überhang von einer Million offenen Stellen wieder den Stand von vor der Pandemie erreicht. 
Der Anstieg der Arbeitslosenrate auf 4,3% (saisonbereinigt) im Juli hat nach der Sahm-Regel zudem einen „Trigger-Punkt“ erreicht. Die Sahm-Regel leitet die Rezessionswahrscheinlichkeit aus der Veränderung des gleitenden Dreimonatsdurchschnitts der Arbeitslosenquote gegenüber dem Tiefstand der letzten 12 Monate ab. Ist die „Trigger-Grenze“ von 0,5 überschritten, zeichnet sich in der Theorie eine Rezession ab. Seit 1970 hat die Sahm-Regel mit einer Ausnahme 1976 zuverlässig eine Rezession nach Definition des National Bureau of Economic Research (NBER) prognostiziert. 

 

Im historischen Vergleich liegt die aktuelle US-Arbeitslosigkeit jedoch weiterhin deutlich unter dem langfristigen Durchschnitt. Die gemeldeten US-Arbeitsmarktdaten waren dementsprechend verglichen mit den „robusten Erwartungen“ ein kleiner Dämpfer, der aber bei einigen Ökonomen zu Schnappatmungen führte. Ernste Sorgen vor einem rapiden Anstieg der Arbeitslosenquote wie in Zeiten der Finanzkrise oder der globalen Rezession um 1982 muss man sich nach unserem Dafürhalten nicht machen. 

Abb. 1: US-Arbeitslosenquote von Januar 1950 – Juli 2024

Quelle: Bloomberg

Denn wie Fed Präsident Jerome Powell beim Jackson Hole Economic Symposium betonte, deutet der Anstieg der Arbeitslosigkeit nicht zwangsläufig auf einen Wirtschaftsabschwung hin. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit sei nicht auf eine hohe Zahl von Entlassungen zurückzuführen, sondern würde eine erhebliche Zunahme des Arbeitskräfteangebots und eine Verlangsamung des zuvor rasanten Einstellungsrhythmus widerspiegeln. 

 

Die Nominallohnentwicklung verlangsamt sich - lag jedoch mit 4,7% im Juni weiterhin deutlich über der aktuellen Inflationsrate von 2,9% und treibt damit die Preisentwicklung. Die sich entspannenden Arbeitsmarktbedingungen stützen zwar den Desinflationstrend, jedoch stellte Powell klar, dass eine weitere Abkühlung der Lage am Arbeitsmarkt von der Fed weder angestrebt nicht begrüßt werde.

 

 

Die Frage, wie die Fed mit ihrem dualen Mandat, das sowohl auf Preisstabilität als auch auf einen stabilen Arbeitsmarkt mit hoher Beschäftigungsquote abzielt, umgeht, wird Jerome Powell am 18. September verkünden. In Jackson Hole stand für den Fed-Präsident jedoch bereits fest, dass die Aufwärtsrisiken für die Inflation abgenommen und die Abwärtsrisiken für die Beschäftigung zugenommen haben. Die Zeit für eine Anpassung der Geldpolitik sei gekommen.

 

Dass die Fed ihren Leitzins senken wird, schien laut impliziter Markterwartungen bereits vor Jackson Hole außer Frage, über die Höhe des Zinssenkungsschritts wird dagegen medienwirksam debattiert. Mit einer Wahrscheinlichkeit von rund 40%1) preisen die Märkte aktuell einen großen Zinssenkungsschritt von 50 Basispunkten auf 4,75 – 5,0% ein. Eine Senkung um 25 Basispunkte kann als sicher gelten. Zur Höhe und Geschwindigkeit der Zinssenkungsschritte halten sich die Zentralbanker der Fed derweil bedeckt und konzentrieren sich auf die eingehenden Daten. Leitzinssenkungen im Umfang von 100 Basispunkten bis zum Jahresende würden jedoch mindestens eine Doppelsenkung (50 bp) voraussetzen. Diese eingepreisten Erwartungen scheinen eher das „Wunschszenario“ der Märkte, die sich Rückenwind erhoffen, als die Reflektion einer besonnenen Geldpolitik der Federal Reserve. 

 

Doch nicht nur auf kurzfristige Sicht scheinen die Kapitalmärkte sehr optimistisch gestimmt, was die Entwicklung des Zinsniveaus angeht, sondern auch über das Jahr 2024 hinaus: Verglichen mit dem heutigen Zinsniveau preisen Finanzmarktakteure etwa minus 240 Basispunkte bis Ende des Jahres 2025 ein, damit könnte die Fed im kommenden Jahr bei einem Niveau von 2,75 – 3,00% ankommen. 

 

 

Wo der „neutrale“ oder konzeptionell eng verwandte „natürliche“ Zinssatz im aktuellen Umfeld liegen könnte, wird unter Ökonomen kontrovers diskutiert. Der neutrale Zins ist jener reale (inflationsbereinigte) Zinssatz, zu dem das Produktionspotenzial voll ausgelastet ist und gleichzeitig Preisstabilität herrscht. Geht eine Notenbank über diesen Zins hinaus, so betreibt sie eine restriktive Geldpolitik, bei der sie versucht, das Wachstum der Wirtschaft und die Inflation zu bremsen. In der Praxis lässt sich kaum bestimmen, wo dieser neutrale Zins genau liegt. Mit einiger Gewissheit lässt sich jedoch sagen: Aktuell haben die Fed ebenso wie die EZB und andere Notenbanken ihre Leitzinsen über diesen Zinssatz angehoben, um die durch Corona und den Ukraine-Krieg ausgelösten Preisschocks zu überwinden und das Preisniveau wieder zu stabilisieren. Die Federal Reserve selbst skizziert ihre aktuelle Schätzung des neutralen Zinssatzes als Teil der „Dot Plots“ im Rahmen ihrer langfristigen Zinsniveauerwartung. Aktuell positionieren sich 13 von 19 FOMC-Mitgliedern bei einem langfristigen Leitzins zwischen 2,5% und 3,0%.

 

Wir erwarten, dass die Annäherung an den neutralen Zinssatz länger dauern wird als von den Marktteilnehmern derzeit erwartet. Wir werden die Duration in unseren Anleiheportfolios erst einmal nicht weiter verlängern.

Abb. 2: Leitzinsentwicklung in den USA und Leitzinserwartungen der FOMC-Mitglieder auf lange Sicht


Quelle: Datastream, Zeitraum: 01.01.2015-30.06.2024; Stand Zielband 05.09.2024: 5,25-5,50%; die Erwartungen der FOMC-Mitglieder für das langfristige Leitzinsniveau können als Schätzung für den neutralen Zinssatz (in nominaler Betrachtung) interpretiert werden; dies entspricht einem neutralen (realen) Leitzinsniveau von 0,80%, wenn die Inflation langfristig dem Zielwert von 2 % entspricht.
1) abgeleitet von Bloomberg & CME FedWatch, Stand: 05.09.2024

 


 

 

Wichtige Hinweise
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