DeepSeek: Ein zweiter Sputnikschock?

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Blick auf die Finanzmärkte 11.02.2025

DeepSeek: Ein zweiter Sputnikschock?

ODDO BHF6 Minuten

 

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Laurent Denize – Global Co-CIO ODDO BHF

 

 

Am Morgen des 4. Oktober 1957 schockierte eine Nachricht die Welt: Die Sowjetunion hatte die USA im Wettlauf ins All überholt. Der Schock über den Start von Sputnik, dem weltweit ersten künstlichen Satelliten, war tiefgreifend, so dass manche in der Veröffentlichung von DeepSeek als Chinas einen „Sputnik-Moment“ für das Ökosystem der künstlichen Intelligenz ausgemacht haben. Doch ist dieser Vergleich treffend? Markiert DeepSeek tatsächlich einen Wendepunkt in der Geschichte der KI-Branche? Verändert es die Sicht der Investoren auf die Chancen der KI-Technologie grundlegend? Bedeutet es einen „Tiefschlag“ für den US-Exzeptionalismus und einen „gewaltigen Schub“ für China? Vertrauen wir zur Analyse nicht auf ChatGPT, sondern auf unseren eigenen Verstand und betrachten ganz sachlich, was der KI-Durchbruch in China für die Vermögensallokation und Positionierung bedeutet.

DeepSeek: Ein chinesisches Startup mischt die KI-Welt auf

Das 2023 gegründete chinesische Startup DeepSeek hat in der KI-Welt rasch für Aufsehen gesorgt. Kürzlich hat es zwei ChatGPT-ähnliche Open-Source-KI-Sprachmodelle veröffentlicht: DeepSeek-V3 (im Dezember 2024) und DeepSeek-R1 (im Januar 2025). Beide basieren auf innovativen Modellarchitekturen, die eine mit aktuellen Spitzenmodellen vergleichbare Leistung erzielen, wobei das Training der Modelle deutlich kostengünstiger ist.

Glaubt man den Schlagzeilen, wurde das v3-Modell in nur zwei Monaten mit rund 2.000 H800 Chips von Nvidia trainiert – Kostenpunkt: etwa 5,6 Millionen US-Dollar. Zum Vergleich: OpenAI, Google oder Meta investieren in das Training ihrer populären KI-Modelle Hunderte von Millionen. Wahr oder unwahr? Kaum ein KI-Experte in der Branche scheint an der Glaubwürdigkeit der Leistung und der Steigerung der Effizienz um das Zehnfach zu zweifeln. Sie halten die angewandte Methodik für legitim und Kosteneinsparungen in dieser Dimension durchaus für plausibel.

Doch unabhängig von dieser Debatte stellt DeepSeek unserer Meinung nach die bisher vorherrschenden Annahmen und die gängige „größer ist besser“-Philosophie infrage, die den KI-Hype in den letzten zehn Jahren geprägt hat.

Was bedeutet das auf makro- und mikroökonomischer Ebene? Rückenwind oder Gegenwind?

Aus makroökonomischer Sicht besteht das größte kurzfristige Risiko für das Wirtschaftswachstum darin, dass effizienteres Modelltraining und kostengünstigere Rechenoperationen die Investitionen in KI-Infrastruktur senken und die steile Wachstumsrate im KI-Bereich, insbesondere in den USA, bremsen könnten. Manche Schätzungen beziffern den BIP-Effekt für die USA auf 0,1 bis 0,2 Prozentpunkte. Allerdings haben Hyperscaler (Microsoft, Meta, Amazon, Alphabet) erst kürzlich ihre Investitionspläne bestätigt. Von einer neuen, getesteten KI-Technologie mit deutlich geringeren Entwicklungskosten erwarten wir mittelfristig eine Neuordnung der aktuellen Wettbewerbslandschaft und makroökonomischen Rückenwind.

In einem solchen Szenario könnten sich die Vorteile von KI schneller und umfassender in der Weltwirtschaft entfalten, was die Verbreitung von KI beschleunigen und Produktivitätsgewinne ermöglichen dürfte. Dies sollte weltweit zu höherem Wachstum führen. Ein hilfreicher Nebeneffekt ist, dass die durch eine stärkere Verbreitung sinkenden KI-Kosten deflationär auf die Weltwirtschaft wirken. Solange die Produktivitätsgewinne aber nicht alle Sektoren erreicht haben, setzen wir weiterhin bevorzugt auf die USA. Sollten sich jedoch die Produktivitätssteigerungen positiv auf das US-Wachstum auswirken, müssen wir möglicherweise unsere Erwartungen hinsichtlich des neutralen Zinsniveaus überdenken … es sei denn die Disinflation schlägt in eine Deflation um. Ein zentraler zu beobachtender Faktor ist der anhaltende deflationäre Druck aus China durch Überkapazitäten, dessen volle Wirkung sich erst noch zeigen wird.

Auf mikroökonomischer Ebeneerwarten wir, dass die allmählich sinkenden Kosten für die Einführung von KI den Produktivitätszyklus beschleunigen, was sich positiv auf die Gewinnmargen auswirken  dürfte, und zwar nicht nur bei US-Aktien, sondern auch bei vielen KI-Unternehmen in Europa und andernorts. Denkbar ist auch ein Upgrade-Zyklus bei Konsumgütern, um die Möglichkeiten von KI besser ausschöpfen zu können (Telefone, Autos, usw.). Allerdings könnten die Gewinnmargen der derzeit führenden Technologieunternehmen wie Nvidia, Alphabet, Meta oder Microsoft darunter leiden.

Kein völliger Absturz der „Glorreichen Sieben“, aber Diversifikation kann nicht schaden

DeepSeek hat uns die Indexkonzentration und die extreme Positionierung in einigen wenigen US-Aktien schonungslos vor Augen geführt. Aus der DeepSeek-Episode lassen sich drei wichtige Erkenntnisse ableiten.

Erstens: Mehr Wettbewerb im KI-Bereich könnte zu mehr Technologieinvestitionen führen, die aber nicht unbedingt den gegenwärtigen Gewinnern des KI-Hypes zugutekommen. Eine Schwächung der Vormachtstellung von Nvidia könnte Diversifikation fördern und die Generierung von Zusatzerträgen gegenüber der Benchmark (Alpha) erleichtern. Dass die größte Aktie der Welt innerhalb eines Tages um 16% einbricht, verdeutlicht wie riskant Konzentration ist.

Zweitens: Die KI-Investitionen der Megacap-Tech-Unternehmen könnten in gewisser Weise obsolet werden, wenn es billigere Lösungen gibt. Damit könnte der „Burggraben“, der die Glorreichen Sieben schützt, leichter zu überwinden sein als bisher angenommen.

Drittens: Zum ersten Mal stellt sich die Frage, wie lange die USA ihre Dominanz im Bereich der KI noch behaupten können.

Wir glauben, dass diese Disruption eher eine Rotation auslöst und kein Grund für KI-Pessimismus ist. Dennoch ist Vorsicht geboten – die extrem hohen Bewertungen der Glorreichen Sieben (mit einem nach Marktkapitalisierung gewichteten KGV von 35) lassen kaum Spielraum für Enttäuschungen.

Die Stunde der KI-Nutzer

Die Markteinführung von DeepSeek ist ein Impuls, anders durch das KI-Paradies zu navigieren und die mit KI verbundenen Chancen und Risiken in den verschiedenen Sektoren aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten.

  • Vorsicht in den Bereichen Halbleitern und Infrastruktur: DeepSeek setzt ein Fragezeichen hinter die Nachfrage nach teuren High-End-Chips und lässt eine Verschärfung des Wettbewerbs mit entsprechenden Auswirkungen auf Chiphersteller und den Energiesektor erwarten. Schließlich arbeitet das DeepSeek-Modell Berichten zufolge zehnmal energieeffizienter als ChatGPT und andere KI-Modelle. Hierauf lässt sich erwidern:
    1. Dank niedrigerer Kosten könnte es zu einer potenziell beschleunigten Verbreitung kommen.
    2. DeepSeek ist nicht notwendigerweise auf alle bestehenden Ökosysteme übertragbar.
    3. Hyperscaler haben ihre Investitionsausgaben nicht zurückgefahren.
    4. Rechenzentren sind nur ein Faktor für den steigenden Strombedarf. Auch die Dekarbonisierung spielt hier eine große Rolle.

Dies stellt weder die Investitionsmöglichkeiten rund um die Elektrifizierung noch unseren starken Fokus auf den ökologischen Wandel in Frage.

  • Eher positiv in Bezug auf Hyperscaler:Was die Auswirkungen auf Hyperscaler betrifft, bietet sich ein gemischtes Bild. Sie nutzen ihre eigenen Modelle nicht nur selbst, sondern öffnen – wie Amazon und Google – auch anderen den Zugang zu ihren eigenen und externen Modellen. Angesichts der aktuell höheren Effizienz und geringeren Kapitalintensität von DeepSeek besteht mittel- bis langfristig die Chance, Betriebs- und Investitionskosten zu senken, da Amazon, Google und Meta von seinen Innovationen profitieren dürften. Was das Umsatzrisiko angeht, so scheint Meta am besten aufgestellt, gefolgt von Amazon und Google. Meta erzielt keinen nennenswerten Umsatz durch die Bereitstellung von Llama. Amazon hingegen arbeitet mit externen Modellentwicklern zusammen, darunter Anthropic. Und Google setzt auf sein eigenes Modell Gemini sowie Modelle Dritter. Kurzfristig gehen wir nicht davon aus, dass Hyperscaler ihre Bemühungen zurückfahren, da die Nachfrage nach KI weiter steigen dürfte. Die meisten Hyperscaler stoßen eher an Kapazitätsgrenzen, da der KI-Auftragsbestand die Investitionen bei weitem übersteigt – ein beruhigendes Zeichen. Dennoch bleiben Fragen zu Investitionsausgaben und Kapitalrendite relevant und sollten im Auge behalten werden. Zudem sehen wir einen Wettbewerbsvorteil des Open-Source-Ansatzes gegenüber „proprietären” KI-Modellen. Der Open-Source-Ansatz trägt zu schnellen Erfolgen bei, indem er modernste Technologie allgemein zugänglich macht, globale Zusammenarbeit fördert, Kosten senkt, Transparenz schafft und den Wettbewerb mit proprietären Modellen intensiviert, die dieses Feld lange Zeit dominiert haben.
  • Positiv in Bezug auf KI-Anwender: Wird der Einsatz von KI erschwinglicher, sollten Unternehmen sie unserer Meinung nach schneller und umfassender nutzen. Dies ist eine gute Nachricht für die vielen potenziellen Profiteure der KI-Technologie in Bezug auf Produktivität und Umsatz, die sich in vielen Aktienmarktsektoren (Industrie, Finanzsektor, Internet…) finden. Wir glauben, dass diese beschleunigte Verbreitung dem Softwarebereich zu einer weiterhin überdurchschnittlichen Entwicklung verhelfen könnte.

China wird von der strukturellen Verschiebung in der KI-Landschaft profitieren

Jahrelang wurde China gegenüber den USA als KI-Nachzügler wahrgenommen. Frühere Versuche, wie der Chatbot von Baidu, blieben hinter den Erwartungen zurück. Doch mit dem Erfolg von DeepSeek hat sich das Blatt gewendet. Er zeigt, dass China nicht nur mit den etablierten KI-Giganten aus den USA mithalten, sondern sie sogar überholen kann. In dieser Hinsicht waren die Schlussfolgerungen des Draghi-Berichts zur Wettbewerbsfähigkeit der EU, der im September 2024 veröffentlicht wurde, selten weitsichtig. Denn sie haben Chinas Vorsprung  gegenüber den USA und Europa bei den komplexesten digitalen Technologien, ob nun Internet der Dinge, KI, Cloud-Dienste oder Quantencomputer, klar vor Augen geführt.

Investoren, die führende Unternehmen mit starkem „Burggraben“ bevorzugen, kommen heute an chinesischen Firmen nicht vorbei, die über die breitesten und tiefsten „Burggräben“ verfügen und Unternehmen aus dem Westen  wirtschaftlich überlegen sind.

Wir gehen davon aus, dass die zunehmende Agilität der chinesischen Modelle und die durch DeepSeek aufgezeigte deutliche Verbesserung der Kosteneffizienz in der Datenverarbeitung die Verbreitung von KI-Anwendungen beschleunigen und die globale Expansion chinesischer Akteure potenziell fördern dürfte, vorausgesetzt, sie behalten den Zugang zu Computerchips. Neben unserer Einschätzung nach attraktiven Bewertungen (geschätztes 12-Monats-KGV von unter 10x im Hang Seng China Enterprise Index) könnte China Chancen durch seine starke Position in eher software-basierten Technologien (Internet, Software & Services) bieten. Diese machen 32% der Marktkapitalisierung und 37% der Gewinne (gemessen am Offshore-Index) aus und profitieren direkt von den langfristigen Produktivitätsgewinnen durch KI.

“Sputnikschock”  - eher eine weitere Marktübertreibung

Diejenigen, die das globale KI-Rennen verfolgen, erinnert die Entwicklung von DeepSeek daran, dass nicht nur die großen Akteure Innovationen vorantreiben. Sie können überall entstehen. Niemand kann davon ausgehen, dauerhaft einen Vorsprung zu behaupten, Führungswechsel sind immer eine reale Möglichkeit. Aber so wie Sputnik den Anstoß für das Apollo-Programm gab und letztlich die technologische Führungsrolle der USA festigte, sehen wir das Auftauchen von DeepSeek in dieser Phase als Weckruf für die KI-Industrie in USA (und Europa?), der eine neue Welle von KI-Innovationen auslösen könnte. Anders als 1957 hinken die USA in dieser Hinsicht zwar nicht grundsätzlich hinterher, müssen sich aber an die sich verändernde Dynamik anpassen. Daher passt der Vergleich mit Sputnik nicht ganz. Könnte sich DeepSeek am Ende nicht als unerwartetes Geschenk Chinas an die USA erweisen?

 





 

 

 

 

Wichtige Hinweise

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