Prof. Dr. Jan Viebig Global Co-CIO ODDO BHF
Der Markt für europäische Staatsanleihen ist in diesem Jahr ungewöhnlich stark in Bewegung geraten. In den vergangenen zwölf Monaten bewegte sich die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen in einem Korridor zwischen 2,08 Prozent und 2,66 Prozent. Seit dem 28. Februar 2025 jedoch hat die Rendite in wenigen Tagen steil angezogen – von 2,38 Prozent auf 2,93 Prozent (Stand: 12. März). Ende Februar nahmen nach der vorgezogenen Bundestagswahl vom 23. Februar CDU und CSU Sondierungsgespräche mit der SPD auf, die rasch in die Ankündigung eines Fiskalprogramms von 500 Milliarden Euro für Investitionen in die Infrastruktur und höhere Ausgaben für die Aufrüstung der Bundeswehr mündeten. Die Schuldenaufnahme für Verteidigungsausgaben, die 1 Prozent des BIP übersteigen, soll nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Bei einer Erhöhung des Rüstungsetats auf 3,5 Prozent des BIP entspräche dies einer zusätzlichen Schuldenaufnahme von 110 Milliarden Euro jährlich. Friedrich Heinemann, Ökonom beim Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim, schätzt, dass die deutsche Schuldenquote im Jahr 2034 die Marke von 100 Prozent des BIP übersteigen könnte.1
Ob dieses Fiskalpaket so kommt, wie es die koalitionswilligen Unterhändler diskutiert haben, war bei Redaktionsschluss (14. März 2025) offen. Die Hürde ist, dass die Schuldenbremse seit 2011 im Grundgesetz verankert ist. Für eine entsprechende Verfassungsänderung benötigen die Union und die SPD eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag, die sie im alten Parlament nur mithilfe der Grünen oder der FDP erreichen. Im neuen Bundestag kommen Union, SPD und Grüne nur auf 65,5 Prozent der Sitze. Sowohl die Grünen wie auch die FDP haben (Stand: 14. März 2025) keine Zustimmung zu einer Grundgesetzänderung zugesagt. Zudem haben AfD und die Linke mit unterschiedlichen Argumenten vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Absicht von Union und SPD geklagt, dass noch der alte Bundestag eine Lockerung beschließt, wobei der neue Bundestag noch nicht zu seiner konstituierenden Sitzung zusammengekommen ist. Ungeachtet dieser verfassungsrechtlichen Aspekte ziehen vor allem CDU und CSU Unmut in ihrer Wählerschaft auf sich wegen der geplanten Ausweitung der Staatsschulden, die der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz entgegen seinen Ankündigungen im Wahlkampf ins Auge fasst.
Ob dieses Fiskalpaket so kommt, wie es die koalitionswilligen Unterhändler diskutiert haben, ist noch nicht entschieden. So ist unter anderem fraglich, wie eine künftige Bundesregierung in der neuen Legislaturperiode die notwendige Zweidrittelmehrheit im Bundestag für eine Grundgesetzänderung zu einer Lockerung der Schuldenbremse zusammenbringen will. Selbst mit Unterstützung der Grünen kämen die Union und die SPD im neuen Bundestag nur auf 65,5 Prozent der Sitze. CDU und CSU ziehen zudem Unmut in ihrer Wählerschaft auf sich wegen der geplanten Ausweitung der Staatsschulden, die der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz entgegen seinen Ankündigungen im Wahlkampf ins Auge fasst.
Dennoch scheint der Weg vorgezeichnet: Jahrelang haben die diversen Bundesregierungen darauf geachtet, neben der im Grundgesetz seit 2011 verankerten Schuldenbremse auch die Maastricht-Kriterien einzuhalten. Diese setzen den Mitgliedsländern der Europäischen Währungsunion dem Haushaltsdefizit eine Grenze von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und der Staatsverschuldung einen Deckel von 60 Prozent des BIP. Im Jahr 2024 lag das deutsche Staatsdefizit bei knapp 119 Milliarden Euro und damit bei 2,8 Prozent des BIP. Die Schuldenquote des deutschen Staats lag Ende 2024 bei rund 63 Prozent des BIP. Auf 2.489 Milliarden Euro beliefen sich die öffentlichen Schulden – das sind die Schulden von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherung – am Ende des dritten Quartals 2024.
Nicht nur Deutschland will nun die staatlichen Ausgaben in die Höhe schrauben. Auch die EU plant milliardenschwere Förderprogramme. Beispielsweise will sie unter dem Namen Invest AI 200 Milliarden Euro für die Förderung der Künstlichen Intelligenz mobilisieren, davon 50 Milliarden Euro direkt aus EU-Mitteln und die übrigen 150 Milliarden Euro aus privaten Investitionen von Unternehmen. Auch für die Dekarbonisierung der europäischen Wirtschaft oder für die europäische Rüstungsindustrie und zur Unterstützung der Ukraine sind weitere Ausgabenprogramme geplant. In Frankreich wird die Debatte um das deutsche Ausgabenprogramm aufmerksam verfolgt. Zwar hat Premierminister François Bayrou – anders als sein Vorgänger Michel Barnier - relativ geräuschlos im Februar einen Haushalt für das Jahr 2025 durch die Nationalversammlung gebracht, der eine Reduzierung des Haushaltsdefizits um 139 Milliarden Euro gegenüber dem Haushalt 2023 auf eine Defizitquote von 5,4 Prozent vorsieht. Doch auch in Frankreich wird über die Notwendigkeit hoher Investitionen in die Verteidigungsfähigkeit Frankreichs intensiv debattiert. So will die französische Regierung den Verteidigungsetat von 50,5 Milliarden Euro im laufenden Jahr bis 2030 auf 100 Milliarden Euro erhöhen. Doch angesichts einer Schuldenquote von 109,5 Prozent Ende 2024 sind die Spielräume für neue Schulden begrenzt. Deshalb erwägt Wirtschafts- und Finanzminister Eric Lombard, stattdessen Mittel der Lebensversicherungen und der privaten Altersvorsorge (épargne-retraite) in die Rüstungsindustrie zu lenken. Dazu sollen zweckgebundene Fonds in Form von Kontoeinheiten geschaffen werden, die in Lebensversicherungs- und Altersvorsorgeverträge integriert werden und die dann in französische Rüstungsunternehmen investieren.
Die Anleihemärkte, vor allem der deutsche, haben auf die Pläne der Unterhändler von CDU, CSU und SPD umgehend reagiert. Als direkte Folge auf die Ankündigung der Schuldenpläne der eventuellen Koalitionspartner gingen die Renditen für länger laufende deutsche Staatsanleihen stark in die Höhe. In der Folge ist die Zinsstrukturkurve für deutsche Staatsanleihen steiler geworden – der Renditeabstand zwischen zweijährigen Schuldtiteln des Bundes und zehnjährigen Bundesanleihen hat sich von rund 30 Basispunkten (100 Basispunkte = 1 Prozentpunkt) zu Beginn des Jahres 2025 bis Anfang März auf fast 70 Basispunkte ausgeweitet.
Wir schließen nicht aus, dass die Zinsstrukturkurve nochmals steiler wird. Dazu dürfte am kurzen Ende die EZB mit weiteren Zinssenkungen beitragen. Dafür spricht, dass die Inflation in der Eurozone im vergangenen Jahr stark zurückgegangen ist und die Konjunktur aktuell eher schwächelt. Für den Euroraum erwarten die Marktteilnehmer, dass die Leitzinsen bis Jahresende um weitere 50 Basispunkte auf 2 Prozent gesenkt werden könnten. Wie stark die EZB die Leitzinsen tatsächlich zurücknimmt, wird sie weitgehend von den tatsächlich Inflations- und Wachstumsdaten abhängig machen. Am langen Ende wiederum könnte die stärkere Mittelnachfrage der öffentlichen Hände, besonders in Deutschland, einen Anstieg der Zinsen am langen Ende begünstigen.
Höhere Renditen als die aktuell knapp 3 Prozent für Bundesanleihen können Anleger mit Euro-Unternehmensanleihen erzielen, wobei wir in den vom ODDO BHF TRUST verwalteten Portfolien unseren Fokus auf den Investment-Grade-Bereich legen, also auf Unternehmen, die bei den großen Ratingagenturen als solide und besonders kreditwürdig gelten. Deren Anleihen haben ein Rating im Bereich von mindestens „BBB-“ (Standard & Poor’s) bzw. mindestes „Baa“ (Ficht, Moody’s). Die Risikoprämie - also die Zusatzrendite, die Investoren für diese gegenüber vergleichbaren deutschen Staatsanleihen riskanteren Unternehmensanleihen erhalten - ist in den vergangenen zwei Jahren kontinuierlich gesunken. Das Potenzial zur Fortsetzung dieser Entwicklung scheint aktuell begrenzt. Allerdings zeichnet sich genauso wenig eine Umkehrung dieses Trends ab. Die Finanzkennzahlen, die die Unternehmen bisher veröffentlicht haben, geben keinen Anlass, ein Schuldenproblem auf breiter Basis zu befürchten. Die Ausfallquoten sind nach wie vor moderat. Deshalb setzen wir darauf, die bestehende Prämie weiterhin im Portfolio zu vereinnahmen, und halten Unternehmensanleihen in dieser Konstellation für das attraktivere Segment gegenüber Staatsanleihen.
Vergangene Wertentwicklungen, Simulationen oder Prognosen sind kein zuverlässiger Indikator für die Zukunft.
[1]Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung: Deutschlands Schuldenquote könnte 2034 die 100-Prozent-Quote übersteigen. Pressemitteilung vom 5. März 2025.
Wichtige Hinweise
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Gemessen an der kontroversen Debatte im Vorfeld der notwendigen Grundgesetzänderung hat das Schuldenpaket der Noch-Nicht-Koalition von CDU/CSU und SPD mit den Stimmen der Grünen relativ reibungslos die erforderliche Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag bekommen.
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